Chaos

Wo fange ich an. Die letzten 5 Tage waren ein auf und ab der Gefühle. So ein Chaos und kein Ende in Sicht. Nachdem unser Auto von jetzt auf gleich beschlossen hatte, einfach mal nicht mehr mit machen zu wollen, fiel ich erst einmal in ein tiefes Loch. Gleichzeitig überlgten wir fieberhaft, was wir noch für Möglichkeiten hätten, Jeremy doch zur Reha begleiten zu können. Im Grunde gab es da nicht viele Optionen. Wir klammerten uns wirklich an jeden Strohhalm. Unser Nachbar bewegte dabei unglaublich viel. Obwohl es richtig heiß und er von der Arbeit noch geschafft war, stellte er sich in den Hof und werkelte 3 Stunden lang an unserem Opel herum, in der Hoffnung, dem Problem auf die Schliche zu kommen. Doch das Zeitfenster wurde immer kleiner. Nun war ja auch noch Wochenende und an Ersatsteile heran zukommen unmöglich. Am Samstag Abend war klar, eine Fahrt mit unserem Auto zur Reha wäre nicht möglich. In unserer Verzweiflung, wendete Ronny sich in einer e-mail an Radio RPR1 und bat um Hilfe. Zuerst dachten wir, unsere e-mail sei untergegangen. Etwa Zwei Stunden später erhielten wir eine kurze Antwort, in der man uns mitteilte, dass das Wochenendprogramm leider schon komplett ausgebucht sei. Man hätte unseren Hilferuf zwar an die Moderatoren weiter geleitet, könne aber nicht garantieren, dass diese noch Kapazitäten für unser Anliegen hätten. Innerlich haben war das Thema für uns damit natürlich beendet und wir zerbrachen uns weiter den Kopf, wie es denn nun weitergehen könnte. Abends klingelte das Handy von Ronny noch mal. Radio RPR1 hätte sich die Facebookseite Horizon angeguckt und entschieden, Kunze hilft und weitere Moderatoren auf unser Problem anzusetzten. Man könne uns nichts versprechen, aber man würde gemeinsam auf Hochtouren an einer Lösung für unser Problem arbeiten. Unser Nachbar meinte, er redet mal mit den Italienern bei uns im Haus, sie hätten ein paar Autos und vielleicht könnten wir von ihnen eines für die Fahrt nach Gailingen ausleihen. Und tatsächlich, als die Italiener von unserem Unglück hörten, waren sie sofort bereit uns ihren kleinen Fiat Punto für die Fahrt zu leihen. Wir waren soo erleichert. Niemals hätte ich gedacht, dass uns Menschen, die uns kaum kennen, kaum deutsch sprechen können (sie leben erst seit kurzem hier bei uns), sofort ihre Hilfe anbieten.
Also fuhren wir am Montag früh los, um unseren Hund bei meiner Mum abzugeben. Die Mädels wurden schon am Vortag von meiner Freundin abgeholt. Auf der Fahrt klingelte Ronnys Handy. RPR1 war dran und berichtete uns, dass sie drei eventuelle Unterstützer für unser Autoproblem gefunden hätte. Sie warten aber noch auf eine entgültige Zusage und würden sich am Abend noch einmal bei uns melden. Nach ca. 5 Stunden fahrt, mega Hitze und Migräne, erreichten wir endlich unser Ziel. Das Jugendwerk Hegau in Gailingen ist sehr groß und sehr schön. Eingebettet in eine wunderschöne Landschaft. Nachdem wir die Anmeldeformalitäten erledigt hatten, konnte wir endlich zu Jeremy. Jeremy liegt zur Zeit noch auf der Frühreha mit Intensivbetreuung in einem Isolationszimmer. Das ist Routiene, da erst mal ausgeschlossen werden muss, ob Jeremy irgendwelche Keime übertragen könnte. Danach wird er in ein Zimmer verlegt, in dem er einen etwa gleichaltrigen Zimmernachbarn bekommt. Zumindest ist das der Plan. Positiv überrascht waren wir über Jeremys Begrüßgung für uns. Wir standen in seiner Zimmertür um uns die blaune Kittel überzuziehen, als eine etwas krächtzige Stimme meinte, "endlich" Ich dachte ich höre nicht richtig. Hat Jeremy da gerade gesprochen? Ein breites und stolzes Grinsen strahlte uns beide an. Natürlich wiederholte er seine zaghaften Sprechversuche und ließ alles mögliche von sich hören. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein Gefühl das ist, nach drei Monaten die Stimme unseres Sohnes hören zu dürfen. Natürlich klang es noch nicht nach Jeremy und man hat ihn kaum verstanden. Aber hey, Jeremy kann sprechen! Und was noch viel cooler ist, er atmet komplett über Mund und Nase. Nicht mehr über das Stoma. Ich musste mich verstecken, damit Jeremy meine Tränen nicht sehen konnte. So sehr brachte dieser Fortschritt meine Gefühlswelt aus dem Gleichgewicht. Im Laufe des Tages übte er fleißig weiter und auch am nächsten Tag verbesserte sich seine Stimme und die Deutlichkeit seiner Wort bedeutend! Wenn die Logpädie jetzt noch das Schluckproblem in den Griff bekommt, kann er das Stoma bald ganz rausgenommen bekommen. Das wäre ein enormer Fortschritt. Abends sind wir total fix und alle ins Bett gefallen. Radio RPR1 hat sich jedoch leider bis heute nicht mehr bei uns gemeldet.
Die Schwestern und Pfleger im Hegau Jugendwerk sind mega lieb und gehen intensiv auf Jeremy ein. Im Aufnahmegespräch mit der Ärztin wurden noch Jeremys extreme viele und blaue Flecken und Dehnungsstreifen aufgegriffen. Keiner kann sich erklären, warum oder woher er diese in so starkem Ausmaß hat. Darum möchte die Ärztin noch eine spezielle Untersuchung auf eine Krankheit machen, die wohl das Bindegewebe betrifft.
Leider war der Dienstag auch der Tag des Abschieds. Dadurch das die erste Verlegung am Donnerstag nicht geklappt hat, sind Jeremy und mir ganze vier Tage gemeinsame Eingewöhnung verloren gegangen. Die letzten 90 Minuten die wir mit ihm hatte, weinte er nur. Nun konnte er ja wieder sprechen ... es brach uns beiden das Herz zu hören wie er bettelte, "geht nicht.. bleiben... beide, bitte!" Selbst jetzt hier darüber zu schreiben treibt mir wieder die Tränen in die Augen. Es schmerzt so sehr, Jeremy 500 km weit weg alleine lassen zu müssen. Da hilft auch nicht die Gewissheit, dass er sehr gut aufgehoben ist. Ich freue mich schon darauf, wenn auf Jeremys Laptop Skype installiert wird und er uns jeden Tag anrufen kann. Die Schwester meinte, das sei eine gute Idee, da Jeremy so Kontakt zu uns halten kann und gleichzeitg seine Stimme trainiert.
Beim Verlassen der Frühreha habe ich Rotz und Wasser geheult und selbst jetzt noch kann ich nicht von Jeremy sprechen, ohne das meine Augen brennen.
Die erste Nacht zu Hause habe ich vor Erschöpfung fast durchgeschlafen. Bin aber leider auch die dritte Nacht in Folge mit einer starken Migräne wach geworden. Bauchzwerg bewegt sich seit zwei Tagen gar nicht mehr. Zumindest spüre ich ihn nicht mehr. Davor habe ich Bauchzwerg zwar auch nicht so viel gesprürt, aber doch wenigstens ab und zu mal. Die Vorderwandplatzenta dämpft natürlich auch etwas die Bewegungen ab. Doch mit voranschreitender Schwangerschaft, müsste ich ihn mehr und nicht weniger spüren. Doch jedes Mal, wenn wir bisher beim Arzt waren, ging es dem kleinen Bauchbewohner prächtig. Er verkriecht sich wohl gerne in eine kleine Ecke in meinem Bauch. Nächste Woche habe ich wieder eine Vorsorgeuntersuchung. Vielleicht meldet sich Bauchzwerg ja bis dahin mal wieder, wenn ich jetzt auch mal ein bisschen eher zur Ruhe kommen kann.
Was mit unserem Auto ist, wissen wir noch nicht. Unser Nachbar ist noch auf Arbeit, so das wir ihn erst heute Abend fragen können. Nun steht ja ein Feiertag an und wir müssen dringen Einkaufen. Ohne Auto irgendwie kompliziert.
Hoffentlich geht es endlich mal dauerhaft Aufwärts und es kehrt etwas Ruhe und "Normalität" bei uns ein. Ronny geht ab Freitag wieder arbeiten und ich bin bei den Kindern zu Hause. Der ganze Haushalt ist zwei Monate lang liegen geblieben. Wäscheberge türmen sich und das reine Chaos beherrscht unsere kleine Wohnung. Ich schaffe den Haushalt leider nicht mehr. Kleinigkeiten, ja. Aber nach ein paar Minuten muss ich mich setzen und ausruhen, da ich direkt kurzatmig werde, mein Blutdruck bzw Puls in die Höhe schießt und mein Kopf zu pochen anfängt. Zum Haarerauffen ist das. Sobald ich wenigstens ein bisschen Ordnung in den Haushalt gebracht habe - Ronny macht schon mehr als ich - werde ich bei meiner Frauenärztin eine Haushaltshilfe attestieren lassen.
So, das war jetzt ein Mega update. Ich werde versuhen etwas zu entspannen, bevor ich mich daran mache, das Wohnzimmer wieder bewohnbar zu machen.
Habt eine gute Zeit #Chaos

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