Mutterliebe

23/24 März
Die Frustrationsgrenze sinkt.
Mit jedem Tag, den Jeremy wacher ist, spüre ich seine innere Verzweiflung deutlicher. Er beobachtet mich intensiv und folgt mir mit dem Blick um zu sehen, wohin ich gehe oder was ich mache. Seine Lippen bewegen sich in der Bemühung, uns etwas mitzuteilen. Doch es will einfach nicht klappen. Ich bewundere ihn für seine Ausdauer und Geduld. Läge ich in diesem Bett, so völlig abgeschnitten von meinem vorherigen Leben und allem, was ich einmal konnte, jeder Zeit auf die Hilfe einer anderen Person angewiesen, ich wüsste nicht, ob ich das ertragen könnte. Wir wissen alle, dass es gerade jetzt darauf ankommt, geduldig zu sein. Vor allem vor Jeremy. Er soll nicht unter Druck geraten, nur weil wir uns jeden Tag einen Fortschritt erhoffen. Natürlich wissen wir, dass ein langer Weg vor uns liegt und Geduld eine der bedeutensten Tugenden sein wird. Dennoch fällt es uns gerade jetzt, wo um uns herum das Leben, der Frühling erwacht und jede Blütenknospe dem Sonnenlicht entgegen sprießt, schwer, einen Gang runterzuschalten.

Montag ist die OP in der die Ärzte versuchen werden, das Aneurysma mit noch mehr Coills zu füllen. Je mehr von dem 4 cm großen Aneurysma gefüllt werden kann, um so geringer ist das Risiko, dass es sich wieder mit Blut füllt und platzt. Ein Restrisiko bleibt immer. Das ist uns bewusst. Bei der ersten OP gab es Komplikationen, weshalb Jeremy überhaupt erst ins Koma gelegt werden musste und die aktuelle Situation ist, wie sie ist.
Die Gedanken kreisen ständig um diese kommende OP. Sicher geht alles gut. Es wäre doch Ironie des Schicksals, wenn die erste OP mit Komplikationen verläuft, Jeremy sich mühsam aber stetig erholt, nur um bei der zweiten OP erneut mit Komplikationen konfrontiert zu werden. Solche Gedanken und Ängste versuche ich so weit wie nur möglich von mir zu schieben. Leider ohne Erfolg.
Wie gerne ich meinen Schatz einfach mit nach Hause nehmen möchte und wie sehr er uns vermisst, zeigte Jeremy mir gestern Abend, als ich mich von ihm verabschieden wollte. Meine Hand lag locker in seiner, als er mich mit aller Kraft festhielt und versuchte an sich zu ziehen. Egal wie oft ich versuchte meine Hand aus seiner zu lösen, Jeremys Griff wurde immer fester. Obwohl es seine rechte, schwächere Hand war, entwickelte er eine Kraft, die mich sprachlos werden ließ. Es schmerze so unglaublich, meine Hand mit Gewalt aus seiner zu lösen. Meine Stimme war schon von Tränen erstickt, als ich ihm noch mal versicherte, dass wir morgen wieder kommen, und liefen mir über die Wange, als ich ihm den Rücken zudrehte. Auf dem Flur vor seinem Zimmer, brach ich dann in Tränen aus. Dieser Schmerz war einfach zu viel für mein Mamaherz. Unbeschreiblich ...

#Mutterliebe

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